Zurück zu den Wurzeln der Natur

„Mama, wie kommt die Milch in die Tüte? Wie macht man eigentlich Käse? Wo kommen die Kartoffeln und die Äpfel her, bevor sie im Supermarkt liegen? Und was ist überhaupt Fleisch?“ –

Die Fragen eines dreijährigen können herausfordernd sein und so geschah es, dass ich meinen eigenen Kindern von Anfang an zeigen wollte, dass die Milch eben nicht einfach aus dem Supermarkt kommt und Gemüse teilweise eine weite Reise hinter sich hat, bevor es im Laden zu kaufen ist. Wie wichtig dieses Wissen und diese Erfahrungen für die Entwicklung sind, das wurde mir im Laufe der Zeit klar, weshalb ich all das unseren jungen Menschen in der Wohngruppe unbedingt zur Verfügung stellen möchte:

Jede Saison wird ein Acker mit Kartoffeln bestellt. Hier gibt es immer etwas zu tun und niemals genug helfende Hände. Die Kartoffeln wollen gelegt, regelmäßig gehäufelt, das Unkraut im Zaum gehalten, kontrolliert und geerntet werden. Zum Roden wurde sogar ein alter Kartoffelroder angeschafft, für die Nachlese tut es dann der kleine Trecker aus der Scheune, der bei den jungen Menschen sehr beliebt ist. Wenn man dann am Ende des Tages die Kartoffeln in den Händen hält, die man selbst gelegt und geerntet hat, ist das ein tolles Gefühl. Kein Spritzmittel, dafür viel Liebe, Geduld und Arbeit. Am Abend werden in der Wohngruppe stolz die eigenen Kartoffeln zubereitet und verzehrt. Eine große Kiste wird für die nächste Zeit eingelagert, so dass man sich lange an der geleisteten Arbeit erfreuen kann.

Nachlese
IMG20230208114112

Auch die Äpfel, Birnen und Kirschen von den eigenen Obstbäumen können geerntet werden, um sie frisch zu genießen, Marmelade oder ganze Früchte einzukochen. Gleiches gilt für den großen Gemüsegarten, in dem ein Gewächshaus für Tomaten, Paprika und Wassermelonen steht. Darüber hinaus werden in jedem Jahr Möhren, Zwiebeln, verschiedene Salat- und Kohlsorten, Erbsen, Möhren und Mais gezogen. Am Rande der Beete wachsen verschiedene Beeren und Minze, deren Blätter getrocknet und zu Tee verarbeitet werden.

Der Garten möchte intensiv bewirtschaftet werden. Auch hier ist mehr Unkraut da, als helfende Hände und die Arbeit ist hart und sehr erdend. Zwischendurch darf natürlich an den Erdbeeren oder Zuckerschoten genascht werden. Bohnen und Erbsen zu ernten und für den Verzehr vorzubereiten ist sicherlich anstrengender, als sie aus dem Supermarktregal zu ziehen, dafür weiß man, wie viel harte Arbeit in jeder Erbse steckt und auch, was dran ist – oder eben nicht. Da lässt man sicher keine Reste in die Biotonne wandern.

Und wenn doch etwas entsorgt werden muss, dann gibt es saisonal die Schweine, die sich über derlei Leckereien sehr freuen. Hier gilt es aber erstmal zu staunen: „Die stinken gar nicht!“ oder „Die bellen ja wie ein Hund!“ sind da typische Feststellungen. Unsere Schweinchen sind immer nur Gäste für einige Monate. Wir bekommen sie als Ferkel und ziehen sie mit den Kartoffeln groß, die angefressen sind oder faule Stellen haben. Auch über die Molke aus der Käseherstellung freuen sie sich sehr! Was auch die Schweine nicht wollen, sowie der Mist aus den Stallungen lagern wir auf dem großen Misthaufen, der regelmäßig mit dem Radlader umgeschichtet wird, um neue Komposterde für die Gemüsekulturen zu gewinnen. Ein alter Betonmischer leistet uns dabei gute Dienste. Die Schweine werden nach einem glücklichen Leben mit reichlich Licht und Luft vom ortansässigen Metzger zu Stracke, Hackfleisch, Leberwurst oder Schnitzeln verarbeitet, was auch immer das Herz begehrt. Dieser Schritt führt auch zu Tränen, jedoch kann hier vermittelt werden, wie schön das Schweineleben bei uns war, im Vergleich zur Massenproduktion für den Supermarkt.

Nach vielem Überlegen entschlossen wir uns dazu, zwei Ziegen zwecks Milchgewinnung aufzunehmen. Also schwangen wir den Hammer und bauten einen weiteren Stall, in den nach kurzer Zeit die Thüringer Waldziegen Elli und Auguste einzogen. Auch die hübsche Edda zog bald darauf noch ein und rief sehr laut und ausdauernd nach einem Bock. Diesen durften wir uns ausleihen, und er zog wieder zurück in seine Herde, nachdem er seine Arbeit getan hatte.

Edda+Frida
IMG_20220721_183110

Im Frühjahr beglückten uns unsere Mädels also mit Nachwuchs: der kleine Klaus mit seiner Schwester Klara, Karla und Frida wurden geboren. Nachdem sie groß genug waren, begannen wir also mit dem Abenteuer Melken. Schnell bemerkten wir, dass wir die Milchmassen nicht allein durch Trinken bewältigen konnten und so entschlossen wir uns dazu, uns an die Butter- und Käseherstellung zu wagen. Definitiv war es die richtige Entscheidung!

Weiterhin wohnen bei uns etwa zwanzig Hühner mit ihrem Hahn Wiegbert. Anfangs lieferten sie uns lediglich Eier, aus denen man leckeren, sehr farbintensiven Kuchen oder Rührei zaubern kann. Da Hühner aber auch älter werden, dürfen sie nach einem schönen Leben ihr Dasein als Suppenhuhn im Tiefkühlfach fristen. In jeder Saison lassen wir ein oder zwei Hennen brüten.

IMG20230423114225

Im Garten laufen darüber hinaus auch noch die Laufenten Detlef und Dieter herum, die sich zuverlässig um die Schnecken kümmern. Auch die Gänse Karl-August und Lieselotte leisten gute Arbeit in der Grünpflege. In diesem Frühjahr versuchen sie sich das erste Mal als Eltern, weshalb sie sehr wachsam sind und jeden Eindringling, und sei es der Postbote, lautstark und erfolgreich verjagen.

Auf lange Sicht soll uns in der kälteren Jahreszeit zum Aufwärmen und Ausruhen ein Bauwagen dienen. Hier lässt sich dann sicherlich auch das ein oder andere eingestaubte Brettspiel wieder entdecken, denn Strom für Unterhaltungselektronik soll es nicht geben.

All dieses Wissen, das gute Gefühl, die Nahrungsmittel selbst produziert zu haben, das Verständnis für die Kreisläufe des Lebens, die Gemeinschaft eines Dorfes und all die wichtige Erfahrung mit und in der Natur möchten wir den jungen Menschen unserer Wohngruppe zur Verfügung stellen.